Wednesday 7 December 2011

Von Deutschen, Türken & Deutsch-Türken

Beginnen wir mit den Angaben zum Autor im Klappentext:

"Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler MPA, geboren in Siegen als Sohn türkischer Gastarbeiter, studierte Jura, VWL und Philosophie in Bonn, Kiel, Witten-Herdecke, Harvard und Yale. Er ist 'World Fellow' der Yale University und 'Littauer Fellow' der Harvard University. Er war Berater der Boston Consulting Group und ist als Rechtsanwalt und Strategieberater in Berlin tätig. Das 'World Economic Forum' in Davos kürte Mehmet Daimagüler im Jahr 2005 auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder zum 'Young Global Leader'."

Mit anderen Worten: ein klassischer Streber, ehrgeizig und überangepasst. Doch schauen wir mal, was der Mann zu berichten hat über „das Märchen von der gescheiterten Integration.“
„Die meisten Einwanderer wollen sich integrieren und Teil der Gesellschaft werden.“ Wirklich? Woher will man das wissen? Genau so wenig wie man das Gegenteil wissen kann. Und vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen: teilweise will man, teilweise will man nicht, und das ist ja auch grundsätzlich okay so, denn so ist der Mensch nun mal.

Mehmet Gürcan Daimagüler ist in Deutschland geboren, träumt auf Deutsch und ist gern Deutscher. Seit 9/11 gehört er jedoch zu den 'ihr Moslems' (vorher zu den 'ihr Ausländer' oder wahlweise 'ihr Türken'). Und natürlich wird er für alle türkischen Missstände persönlich verantwortlich gemacht. Zugegeben, dass sollte nicht so sein. Ist aber eben so, weil der Mensch nun mal, wie Freud einmal an den Schweizer Pfarrer Pfister schrieb, eine wenig erfreuliche Erscheinung ist (ich zitiere aus dem Gedächtnis). Als Schweizer bin ich übrigens auch persönlich für das Bankgeheimnis verantwortlich – und dieses macht gewisse Leute fast noch wütender als „das türkische Kopftuch“. Kurz und gut: mit den Türken oder den Muslimen (unvergesslich die Schlagzeile, sie liegt schon Jahre zurück, in der Münchner AZ: „Muslim erschiesst Landsmann“) haben solche Feindbildzuschreibungen wenig zu tun. Mit Ignoranz hingegen viel – und dagegen gilt es anzugehen, dafür plädiert Mehmet Gürcan Daimagüler.

Im Grunde ist dieses Buch nichts anderes als die Lebensgeschichte des Autors, eine flüssig und anregend geschriebene. Man kann sich gut vorstellen, dass er beim Schreiben auch einiges über sich selber gelernt hat. Seine Offenheit und Ehrlichkeit sind beeindruckend: „Auch hier fehlte mir einfach die Souveränität zu sagen: Es ist mir egal, was andere von mir denken. Und auch ebenso gleichgültig, ob sie mich für einen totalen Verlierer oder für den Allergrössten halten. Mach einfach, worauf du Lust hast. Das Dumme war nur, dass ich so damit beschäftigt war, mir Gedanken darüber zu machen, ob ich „dazu gehöre“ oder nicht, dass ich total vergessen hatte, was ich eigentlich im Leben erreichen wollte, was mein Ziel war. So sehr ich mich auch anstrengte, es wollte mir einfach nicht mehr einfallen.“

Na ja, sein Ziel war offenbar, „dazu zu gehören“. Und genau darum geht es in diesem Buch. Doch dieses „dazu zu gehören“ ist kein 'Ausländer' oder 'Türken' spezifisches, sondern ein soziales Problem, wenn es denn wirklich ein Problem ist, schliesslich kann es ja durchaus okay sein, nicht dazu zu gehören.
Mehmet Gürcan Daimagüler ist Rechtsanwalt und daher von Berufs wegen ein Rechthaber, einer, der auf die Kraft des Arguments setzt. Und dabei gelegentlich die Realität aus den Augen verliert. Wenn er zum Beispiel unter der Überschrift „Multiple Identitäten“ festhält: „Wenn wir aber ernsthaft grundlegende Probleme lösen wollen wie die Jugendkriminalität oder die gesellschaftliche Segregation, dann müssen wir aufhören, Menschen zu labeln und in Schubladen zu packen.“ Nur ist es eben im richtigen Leben so, dass wir ohne Labels und Schubladen gar nicht auskommen. Diese nicht so wahnsinnig wichtig zu nehmen, scheint mir ein praktikablerer Ansatz.

„Kein schönes Land in dieser Zeit“ ist informativ („Die Deutschen sind totale Vereinsmeier. Und die Türken genauso. Deutsch-Türken sind Weltmeister in Vereinsmeierei“), berührend (etwa: wie des Autors Eltern sich kennengelernt haben), aufrichtig und engagiert (er äusserst sich auch zur Gewalt in seiner Familie sowie seinem eigenen Versagen) und gelegentlich witzig (vor der grössten Nervenheilanstalt der Türkei steht vor dem Eingang „ein riesiges Replikat von Rodins 'Der Denker'“). Ich habe es gerne und mit Gewinn gelesen, auch wenn Sätze wie etwa dieser: „Strukturiert vorgegangen ist jedes noch so grosse Problem rasch lösbar, nicht nur in Jura, sondern überall“ von einer Zuversicht geprägt sind, die sensibleren Menschen etwas arg simpel vorkommen mag.

Mehmet Gürcan Daimagüler
Kein schönes Land in dieser Zeit
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011

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