Sunday 17 June 2012

Tomas van Houtryve

Copyright @ Tomas van Houtryve

Der allererste Eindruck beim Durchblättern: ganz wunderbar, diese Farben. Der Eindruck bleibt auch nach mehrmaligem Verweilen bei den einzelnen Aufnahmen bestehen - es sind vor allem die Farben (und nicht etwa die Motive), die mich in diesem Werk überzeugen, an denen sich meine Gefühle orientieren, die mir im Gedächtnis bleiben.

Tomas van Houtryves "Geschlossene Gesellschaften" zeigt als erstes Bild einen Mann, der durch einen Vorhang in einen Saal hinein blickt. Man merkt die Absicht - ein Blick hinter die Kulissen - und ist etwas verstimmt ob dem allzu Offensichtlichen. Dem Bild ist übrigens keine Legende beigegeben, diese findet sich auf Seite 58 und lautet: Ho-Chi-Minh-Museum, Hanoi, Vietnam 2009.

Die Unsitte, Fotos, die soziale Gegebenheiten dokumentieren sollen, ohne Bildlegenden zu präsentieren, ist leider weit verbreitet. "Geschlossene Gesellschaften" macht dabei keine Ausnahme, hier finden sich die sehr klein geschriebenen Legenden jeweils zusammengenommen auf der letzten Seite des porträtierten Landes (Nepal, Nordkorea, Kuba, Moldawien, Laos, Vietnam).

Copyright @ Tomas van Houtryve

Wie gesagt, es sind die Farben, die diesen Band für mich speziell machen. Van Houtryve bringt es fertig, das farbenprächtige (ich war oft dort, ich weiss, wovon ich rede) Kuba düster und trostlos wirken zu lassen. Doch der kubanische Alltag ist beileibe nicht so trist, wie uns diese Aufnahmen glauben machen wollen. Die Vermutung, van Houtryve habe die Bilder in seinem Kopf fotografiert, drängt sich auf. Andrerseits: tut das nicht jeder Fotograf? Sicher, doch nicht immer so einseitig.

"Geschlossene Gesellschaften" enthält nicht nur Fotografien, sondern auch gute und informative Texte (die jedoch keinen direkten Bezug zu den Bildern haben); zudem eine gelungene Einführung von Tzvetan Todorov, der fragt: "Warum lässt die Vision von Gerechtigkeit und Gleichheit, für die jedermann spontan empfänglich ist, sich nicht auf dem Wege freiwilliger Zustimmung umsetzen?" Seine Antwort: "Weil der Entwurf eine ganze Reihe von menschlichen Eigenschaften nicht berücksichtigt, nämlich den Wunsch nach Macht und Reichtum, nach Ehrungen und Auszeichnungen, nach Glaubens- und anderen Freiheiten, nach Verweigerung und Ausbruch."

PS: Wenn man denn schon meint, in einem deutschen Text fremdsprachige Ausdrücke verwenden zu müssen, sollte man diese auch richtig zitieren: die Kubanerinnen, die ihren Körper an Touristen verkaufen, heissen nicht jinateras, sondern jineteras.

Tomas van Houtryve
Geschlossene Gesellschaften
Eine fotografische Reise durch kommunistische Länder
Vorwort von Tzvetan Todorov
Benteli Verlags AG, Bern 2012

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