Wednesday 13 November 2013

Lee Miller als Modefotografin

Die Amerikanerin Elizabeth «Lee» Miller (1907–1977) wurde ab 1927 als Model von Edward Steichen und als Muse des Surrealisten Man Ray bekannt. Doch bald, sie lernte viel über Lichttechnik von George Hoyningen-Huene, machte sie sich selbst einen Namen als Porträt-, Mode- und Kriegsfotografin: Ihre Bilddokumente von der Invasion der Alliierten oder der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau gingen um die Welt, setzten ihr psychisch jedoch sehr zu; ab 1947 zog sie sich vom Bildjournalismus zurück. Der nun vorliegende, reich illustrierte Band berichtet von Millers Tätigkeit als Model und als Modefotografin 1920 bis 1950. 
Selbstporträt
Foto Lee Miller, New York, 1932 
© Lee Miller Archives, England. All rights reserved.

Jedes Leben ist von Zufällen bestimmt. Im Falle der 19-jährigen Lee Miller hiess der Zufall Condé Nast, in dessen Arme sie in der Nähe der 5th Avenue stolperte, um einem Auto, das direkt auf sie zufuhr, auszuweichen. Der bekannte Verleger lud sie ein, ihn im Verlag zu besuchen und so wurde sie Mannequin. Einer Freundin gegenüber sagte sie über Condé Nast, er sei  "ein harmloser alter Bock", den man jedoch auf Abstand halten sollte. 

Lee Miller wurde eines der Lieblingsmodelle von Edward Steichen, "Nasts Cheffotografen und dem mit Abstand reichsten Künstler Amerikas. Neben seinem Jahresgehalt von 35 000 Dollar von Vogue und Vanity Fair verdiente er zusätzlich 20 000 Dollar als Art Director der Werbeagentur J. Walter Thompson (was einem heutigen Jahreseinkommen von etwa 7 Millionen Dollar entspricht)."

Kein Leben ist einfach. Doch manchen Menschen widerfahren Dinge, von denen andere glücklicherweise verschont bleiben. Lee Miller wurde im Alter von sieben vergewaltigt und mit einer Geschlechtskrankheit infiziert. Auch machte ihr Vater obsessive, zudringliche Nacktaufnahmen von der Kleinen. Dies scheint "Miller in die Lage versetzt zu haben, schon geringste eigene Gedanken und Gefühle auszuschalten, wenn sie Modell stand" und so zeigen denn auch die Bilder, für die sie Modell stand, "eine bezaubernde Entrücktheit", jedenfalls sieht das ihre Biografin so.
US-Soldatinnen bei einer Modenschau
Foto Lee Miller, Paris, Oktober 1944 
© Lee Miller Archives, England. All rights reserved.

Becky Conekin hatte auch Zugang zu bislang unbekannten Kontaktabzügen und Negativen, die, so schreibt sie, in der Modefotografie häufig die aufschlussreichsten seien: "In diesen unveröffentlichten Werken schimmert selbst in den gestellten Studioaufnahmen vor allem Millers wunderbarer Sinn für Humor durch. Verrückte Requisiten, die sie im Keller der Vogue-Studios aufgestöbert oder etwa auf dem Weg zur Arbeit bei Woolworths billig eingekauft hatte, belustigten sie ganz offensichtlich und weckten Erinnerungen an sorglose Tage am Strand."

Man findet viele gute Aufnahmen in diesem Werk, sei es von Lee Miller als Modell (unter anderem von George Hoyningen-Huene), sei es von Lee Miller als Fotografin. Ob sie wirklich zu den wichtigsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts gehört, wie Becky Conekin im Vorwort behauptet, ist schwer zu sagen, nicht zuletzt, weil man nicht so recht weiss, wie denn das überhaupt gemessen werden könnte. Wie auch immer: die Beschäftigung mit dieser informativen Biografie lohnt allemal. Auch weil man sich dabei trefflich mit spezifisch fotografischen Fragestellungen auseinandersetzen kann: Etwa: Ist Bildbearbeitung wirklich, wie die Fotokritikerin Vicki Goldberg argumentiert, "zwangsläufig Bestandteil" des Handwerks? Oder: Hat Man Ray recht, wenn er behauptet, Fotografie sei keine Kunst, sondern eine Form des Malens mit Licht? Und: Weshalb sollte das Malen mit Licht keine Kunst sein können?

PS: Im Juli 1945 veranstaltete die britische Vogue ein Galadiner zu Ehren Millers. In seiner Laudatio sagte Harry Yoxall: "Lees Arbeit ... verkörpert die Quintessenz dessen, was wir während der letzten fünf Jahre mit Vogue erreichen wollten: eine Welt im Kriegszustand abbilden und unsere Leserinnen dazu ermutigen, ihre Rolle darin einzunehmen und sich nicht von Tod und Zerstörung unterkriegen zu lassen, sondern zu erkennen, dass dies nicht alles ist, dass Geschmack und Schönheit bleibende Werte darstellen." Und genau dies kann man in den in diesem Buch versammelten Modeaufnahmen erkennen.

Becky E. Conekin
Lee Miller
Fotografin, Muse, Model
Scheidegger & Spiess, Zürich 2013

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