Wednesday 13 August 2014

Schöner wär's daheim

Der vorliegende Band versammelt Fotopostkarten aus der Schweiz aus den Jahren 1914/18, herausgegeben von Peter Pfrunder, seit 1998 Direktor / Kurator der Fotostiftung Schweiz in Winterthur, der einleitend schreibt: "Jeder Krieg braucht Bilder. Und jeder Krieg bringt die Bilder hervor, die er braucht. Kriege sind Bildermaschinen  zumindest seit dem industriellen Zeitalter, das auch die Erfindung der Fotografie mit sich brachte."

Jeder Krieg braucht Bilder? Jeder Krieg bringt die Bilder hervor, die er braucht? Die Sätze klingen gut, inhaltlich jedoch ... wie ordne ich da jetzt etwa den Irak-Krieg ein, von dem es kaum Bilder von Toten gegeben hat oder die schon lange andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Kongo, von denen man auch selten was zu sehen (und hören) kriegt oder die Aufnahmen von der Absturzstelle des malaysischen Flugzeugs in der Ukraine, bei denen sich die Interpreten streiten, ob es sich dabei um Kriegsbilder handle ...?

Aufschlussreich finde ich hingegen, was Herausgeber Pfrunder zu den Postkarten zu sagen hat. Da gab es einerseits die industriell produzierten touristischen Werbebilder und andererseits die in Kleinstauflagen oder als Einzelstücke hergestellten fotografischen Abzüge, die als Grusskarten sowie zur Verbreitung von Bildinformationen verschickt wurden. "In einer Zeit, in der die Bildberichterstattung in den Medien noch wenig entwickelt war, dürfte dies ein wichtiger Grund für ihren Erfolg gewesen sein."
So recht eigentlich war die Kombination von Momentaufnahme und Kurztext ein Vorläufer der heutigen SMS. Der Text zum obigen Bild, aufgenommen bei Chur im Mai 1915, lautet: "Liebe Mama! Hier sende ich Dir eine Aufnahme unserer Gruppe auf dem Marsch vom Rossboden, unserem Exerzierplatz, zur Kaserne zurück. Die Photographie wurde letzte Woche aufgenommen an einem sehr heissen Mittag, was Du wohl auf dem Bild sehen wirst, Viele Grüsse von Hermann."

Damals wie heute dienen Fotos vielen vor allem als visueller Nachweis, dass etwas oder jemand im Moment der Aufnahme existiert hat. Sie sind Andenken. Das heisst nicht, dass sie die Zeit der Grenzbesetzung realistisch widergeben. Vielmehr zeigen diese Bilder inszenierte Wirklichkeiten, man hat den Eindruck von Ferienlagerstimmung. Peter Pfrunder interpretiert sie als "Gegenstück zu den offiziellen Armeebildern – seien es gedruckte Postkarten oder Auftragsarbeiten von Armeefotografen für die Presse  – welche die Wehrbereitschaft und Tüchtigkeit der Soldaten betonten."
Die Texte machten mich oft schmunzeln: "Wie es mir gefällt, kannst Du wohl aus meinem Gesicht ablesen! Das ewige Militärlen verleidet einem. Doch gehts zuweilen auch lustig her." Zudem wird mir mit diesem Band eine Wirklichkeit vermittelt, von der ich so ziemlich Null-Ahnung hatte: "Die 6 Russen (Unteroffiziere in gefangenen Uniform) sind in einem Kahn über den Bodensee 5 Stunden bei Nacht entflohen. Die Franzosen arbeiten hier und haben freien Lauf."

Hier noch mein Lieblingssatz (weil ich selber wohl gar nie auf einen solchen Gedanken gekommen wäre) in diesem wertvollen Dokument:"Vor allem aber lieferten die Fotografie den Angehörigen zu Hause eine Art Garantie, dass der Schreibende noch immer derselbe war   trotz Uniformierung und Verlust der zivilen Identität."

Schöner wär's daheim
Fotopostkarten 1914 / 18
Fotostiftung Schweiz, Limmat Verlag 2014

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