Wednesday 18 November 2015

Zora del Buonos Reisen zu alten Bäumen

Als Kind glaubte ich, dass wenn man einem Baum einen Ast abreisst, dem Baum damit weh tut, ihn verletzt, ihm eine Wunde zufügt. Ich hatte das von den Indianern, die glauben, dass alles belebt ist. Ob die Indianer das wirklich glauben, weiss ich nicht, doch ich glaubte es und glaube auch heute noch, dass, was wir als unbelebt bezeichnen, lebt  nicht so wie wir, aber irgendwie eben doch.

Daran fühlte ich mich erinnert, als ich in Zora del Buonos Reisen zu alten Bäumen von dem Seminolen Sam Thommie las, der meinte: "Everything is connected". Und das meint: nichts geschieht zufällig. Die Autorin legt sich diesbezüglich nicht fest. "... was unter der Erdoberfläche vor sich geht, kann man nur erahnen, Bäume derselben Art kooperieren oft durch ihre Wurzeln, kränkelt einer, unterstützt ihn der Nachbar mit Glukose und anderen Nährstoffen."

Die 1962 geborene Zora del Buono wuchs in Bari und Zürich auf und lebt seit 1987 in Berlin. Auch wenn man nicht weiss, dass sie Architektur studiert hat, dass sie vom exakten Gestalten geprägt worden ist, zeigt sich in ihrem Schreiben. Was ich von ihr gelesen habe, hat mich zum Fan werden lassen, am allerliebsten sind mir ihre Reiseerzählungen.

Das Leben der Mächtigen ist mit Reisen zu alten Bäumen untertitelt. Die Autorin hat Bäume aufgesucht, in Europa und Nordamerika. Zum Beispiel den Old Tjiko im Nationalpark Fulufjället, Provinz Dalarna, Schweden, 850 Meter ü.M. Mit neuneinhalbtausend Jahren ist diese Fichte der älteste Baum der Welt. Die Schilderung des beschwerlichen Marsches dorthin liest sich höchst aufschlussreich und gipfelt in einem Satz, der bei mir lautes Schmunzeln auslöst. "... es interessieren sich nicht viele Menschen für den alten Baum, der so gar nichts Imposantes an sich hat; wer einmal ein Bild von der mageren Fichte gesehen hat, ist meist enttäuscht, jede Dorfeiche ist beeindruckender, zudem dauert allein die Anfahrt aus Stockholm fünf Stunden, und so sind es meist Botaniker oder Freaks oder treehunter, die den Weg mit einem wenig Ortskundigen gehen, denn alleine findet man die Fichte nicht, was gut ist für den Baum, wer weiss, welcher Vandalismus ihn sonst ereilte, gefällt ist so ein dünner Geselle schnell."

Dem dreitausend und sechshundert Jahre alten Senator (einer Sumpfzypresse) im Big Tree Park, Longwood, Florida ist Crystal Meth zum Verhängnis geworden. Die junge, völlig zugedröhnte Sara Barnes ist in das teilweise hohle Innere des Stammes gekrochen, hantierte darin mit einem Feuerzeug, um das Tütchen mit Drogen zu betrachten ... der Rest ist Geschichte.

Den höchsten Baum der Welt, den hundertfünfzehn Meter hohen Küstenmammutbaum Hyperion in einem kalifornischen Wald (sein Standort wird geheim gehalten) hat sie nur auf Luftaufnahmen gesehen, dafür ist sie vor der "geradezu sagenhaft mythenfreien" Arve Muottas da Schlarigna im Engadin gestanden. Und wenn wir schon in der Schweiz sind, dann soll auch gerade noch auf die Linde von Linn in Bözberg, Kanton Aargau hingewiesen werden, nicht zuletzt, weil der Einstieg in die Schilderung dieser Sommer-Linde mich in einem Krimi wähnen liess:

"Als im September 1974 ein Helikopter in Heinrich Kohlers Garten landete, molk er gerade eine Kuh. Aus dem Stall sei er gerannt und rasch wieder zurück, um zu Ende zu melken, dann habe er die Überhose ausgezogen und sei in den Helikopter gestiegen. Den Piloten kannte er noch vom Militär, er war mit zwei Ärzten der Rettungsflugwacht unterwegs ...". Mehr soll hier nicht verraten werden, nur, dass der Kohler Heiri nie geheiratet hat, "obwohl es viele Ehemöglichkeitä gegeben habe, aber die Mutter hatte es jedes Mal zu verhindern gewusst; in vier Jahren wird er neunzig."

Fazit: Clever, witzig und auf vielfältige Art lehrreich. Intelligente Unterhaltung vom Feinsten!

Zora del Buono
Das Leben der Mächtigen
Reisen zu alten Bäumen
Naturkunden No. 22
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2015

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